12. Dezember 2011

Wie ein Flügelschlag - Leseprobe

Für alle, die schon neugierig sind und gerne ein bisschen mehr wissen wollen, gibt es hier eine kurze Leseprobe zu meinem neuen Roman ...
Viel Spaß damit!

Montag, 25. Januar

Wenn ich hier fertig bin, bringe ich sie um.
Eigenhändig.
Noch vierundzwanzig Runden.

I came to win, to fight …

Rihanna in meinen Ohren gibt mir den Takt vor.
Noch dreiundzwanzig Runden.
„He, Jana. Viel Spaß noch!“
Ich beiße die Zähne zusammen. Drehe die Lautstärke höher.

I came to fly …

Halt dich da raus, Nora. Sonst bring ich dich gleich mit um.
Noch zweiundzwanzig Runden.
Ich schaue den anderen nach. Meine Finger sind steif vor Kälte. So gut es geht, ziehe ich die Ärmel meines Sweatshirts über die geballten Fäuste. Meine Handschuhe sind spurlos verschwunden. Wieder mal.
„Heute gibt's Rührei. Soll ich deine Portion gleich mitessen?“
Bea. Die frisst doch sowieso schon für drei. Nur nicht reagieren. Laufen. Einfach weiterlaufen und nicht hinhören. Die anderen interessieren mich nicht. Mir geht es nur um Melanie. Melanie Wieland.
Noch einundzwanzig Runden.
Sie hatte versprochen zu kommen. Hatte versprochen, mir zuzuhören. Die halbe Nacht habe ich wach gelegen, mir die Worte zurechtgelegt, einen Ausweg gesucht. Aber es gibt nur diese eine Möglichkeit.
Noch zwanzig Runden.
Wir hatten nicht miteinander gesprochen, aber ihre SMS war eindeutig. Okay, lass uns reden. Ich komme zur Bushaltestelle. Mel
Die anderen trafen sich auf dem Schulhof. Die Haltestelle war eine gute Idee. Dort in dem Wartehäuschen würde uns niemand sehen.
Ich war bereit. Hatte meine Entscheidung getroffen. Fragte mich inzwischen sogar, warum ich so lange dafür gebraucht hatte.
Ich hasse dieses Stadion. Es ist stockdunkel. Flutlicht gibt es nicht. Und der Untergrund ist vereist vom festgetretenen Schnee.
Zehn Kilometer hat Drexler mir aufgebrummt. Zehn Kilometer, hübsch aufgeteilt in 400-Meter-Runden. Sechs Runden habe ich schon hinter mir. Fehlen nur noch neunzehn Runden auf dieser verdammten Bahn.
Mein Atem malt weiße Wolken in die Luft. Der Schnee knirscht unter meinen Füßen. Es ist immer noch dunkel und ich muss höllisch aufpassen, dass ich nicht ausrutsche.
Noch achtzehn Runden.
„Geht's ein bisschen flotter? Was soll das werden? Ein Winterspaziergang?“
Drexler. Der Duft von frischem Kaffee steigt mir in die Nase. Verdammt. Wo hat der Kerl jetzt einen Kaffee her? Ich ziehe das Tempo ein wenig an.
Noch siebzehn Runden.
Es fängt an zu dämmern. Die ersten kommen aus dem Wohntrakt, frisch geduscht, die Klamotten gewechselt. In der Mensa brennt Licht.
„Ich gehe jetzt frühstücken. Du läufst die zehn zu Ende. Und pass auf, dass du nicht einschläfst dabei.“
Ich schlucke meine Antwort hinunter. Mit dir lege ich mich nicht an. Noch nicht. Erst will ich mit Melanie reden.
„Nächstes Mal kommst du pünktlich zum Morgentraining. Dafür sorge ich schon, Jana Schwarzer.“
Ich erreiche die Kurve und höre Drexlers Stimme nur noch im Rücken. Sie berührt mich nicht. Soll er toben. Wenn er erfährt, was ich Melanie sagen will, wird er noch viel mehr toben. In meinem MP3-Player hat Nicki Minaj übernommen. Singt gegen Rihanna an.

I wish today it will rain all day …

Noch sechzehn Runden.
Melanie. Vermutlich liegt sie noch zu Hause im Federbett und träumt von Pokalen. Es kommt häufiger vor, dass sie das Morgentraining schwänzt. Die Externen nehmen es mit dem Frühsport nicht so genau. Melanie musste noch nie Strafrunden laufen. Dafür sorgt ihr Vater schon.
Noch fünfzehn Runden.
Ich habe kein Problem damit, vor dem Frühstück zu trainieren. Meistens bin ich sowieso schon wach und die Waldläufe machen mir Spaß. Im Wald ist es anders als auf der Bahn. Vor allem im Winter. Die Stämme der grauen Bäume glitzern jetzt silbern in der Dunkelheit. Der Frost der letzten Nacht hat alles mit einer schützenden Haut überzogen. Ich stelle mir vor, einer von ihnen zu sein. Stark und unbeweglich …
Auch heute war ich früh wach, stand wie vereinbart pünktlich am Bushäuschen und habe gewartet. Wer nicht kam, war Mel. Bis mir endlich klar wurde, dass sie mich einfach versetzt hat, war Drexler mit den anderen längst weg. Ich hab noch versucht, Mel auf dem Handy zu erreichen. Ohne Erfolg. Schließlich hab ich nichts mehr gemacht. Nur gewartet. Als Drexler mit der Gruppe aus dem Wald zurückkam und mich mit Kopfhörern im Ohr an der Bushaltestelle sitzen sah, ist er explodiert. Hat total die Kontrolle verloren und rumgeschrien. Die anderen standen dabei und grinsten. Dann hat mich Drexler auf die Bahn geschickt.
Noch vierzehn Runden.
Der Schweiß läuft mir übers Gesicht, meine Kopfhaut juckt unter der Wollmütze. Ich wische mir mit dem Ärmel über die Augen. Mit jedem Atemzug strömt eisige Luft in meine Lungen.
Noch dreizehn Runden.
Das Erste, was ich sehe, ist ein blaues Leuchten. Der Schnee unter meinen Füßen flackert rhythmisch auf.
Blau – weiß – blau – weiß.
Ich passe mein Lauftempo dem Farbwechsel an.
Links – rechts – links – rechts.
Dann sehe ich den Krankenwagen. Er steht auf dem Schulhof und sein Blaulicht spiegelt sich in den Fenstern. Neben dem Krankenwagen hält ein weiteres Auto.
Ich werde langsamer.
Noch zwölf Runden.
Zwei Männer steigen aus dem Auto. Erste Gesichter tauchen hinter den Scheiben der Mensa auf. Kurz darauf verschwinden sie wieder und die Jalousien werden zugezogen. Die Männer laufen zum Hallenbad. Die Sanitäter holen eine Trage aus dem Krankenwagen.
Noch elf Runden.
Drexler sprintet aus der Mensa. Ich fange an zu gehen. Bernges erscheint jetzt auch auf dem Schulhof, will ebenfalls zum Hallenbad. Ich bleibe stehen. Was hat Bernges dort zu suchen?
Ich warte darauf, dass mein Atem sich beruhigt.
Immer noch elf Runden.
Im Hallenbad wird es hell. Jemand hat Licht gemacht. Die Putzfrau. So früh am Morgen kann höchstens die Putzfrau in der Halle sein. Vielleicht ist sie ausgerutscht. Deshalb der Krankenwagen. So muss es sein.
Ich verlasse die Bahn und gehe langsam zum Schulhof hinüber. Niemand sagt etwas dagegen. Keiner hält mich auf und schickt mich zurück. Hinter den Jalousien ist es still. Eine Putzfrau ist uninteressant.
Ich könnte jetzt auch frühstücken gehen. Drexler hat mich längst vergessen. Ich sollte beruhigt sein, dass es nur um eine Putzfrau geht, die zu unvorsichtig war und auf dem nassen Hallenfußboden ausgerutscht ist. Aber was wollen Drexler und Bernges in der Halle? Und was sind das für Männer? Der eine könnte ein Notarzt sein? Und der andere?
Ich wiederhole mein Mantra: nur eine Putzfrau, nur eine Putzfrau. Gleich werden die Sanitäter mit der Trage herauskommen, die Putzfrau in den Krankenwagen schieben und ich kann endlich frühstücken.
Mein Kopf sagt mir, ich soll jetzt rübergehen und die Reste vom Rührei essen, solange es noch warm ist. Meine Beine bleiben einfach stehen. Die Sanitäter kommen mit der Trage aus dem Hallenbad, schieben sie mit kräftigen Stößen über den Schnee. Warum atmet mein Brustkorb nicht erleichtert aus? Ich halte die Luft an.
Die Trage ist leer. Unbenutzt. Die Männer schieben sie zurück in den Krankenwagen.
Blau – weiß – blau – weiß – blau – weiß.
„Macht endlich das Scheißlicht aus, verdammt!“
Ein Schrei zerreißt die Stille des frühen Wintermorgens. Ich zucke zusammen. Die Sanitäter fahren herum und starren mich an. 
Erst jetzt wird mir klar, dass ich es war, die geschrien hat ...

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Guten Abend,

Ich glaube ich bin wohl die aller erste die hier ihren Kommentrar zulässt. Wow! Ich bin mal wieder überwältigt.Das Design beflügelt einen ja wieder einmal...und der Titel lässt sich leicht von den Lippen sprechen lassen. Ist das dass magische Buch wovon Sie was angedeutet haben? Wenn ja...zieht es mich jetzt schon in den Bann. Besonders weil meine Lieblingsfarbe Blau vorkommt. Freue mich jetzt schon riesig.

Liebe Grüße und eine schöne Woche!

Diandra hat gesagt…

Liest sich unglaublich flüssig und spannend!

Nicas Bücherblog hat gesagt…

Ich will mehr mehr mehr mehr!! *rumzappel* :D